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Happily Ever Closer
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Die Geschichte der Kunst ist eine Geschichte von Klasse und Geschlecht: Die Vitalität des Genies, die Schöpfungskraft, die fernab von Erwerbs- und Carearbeit stattfindet, in der Tradition stehend das männliche Subjekt als hauptsächlicher Protagonist des Schaffens. Die Idee des männlichen Genies wird vor dem Hintergrund der Entgrenzung der Künste (in ihrem Medium und ihrer Rezeption) im 20. Jahrhundert als vergangener Mythos behandelt. Es war jedoch insbesondere die malerische Geste des abstrakten Malers, die, vermeintlich entkoppelt von jeglicher sozialer Realität, die Ideen von übernatürlicher Schöpfungskraft und der künstlerischen Potenz spiegelten. Feministische Theoretiker*innen und Künstler*innen haben gegen Positionierungen wie diese zurecht einen Streitplatz um das Verständnis der Abstraktion gegründet. Denn, wie auch die zeitgenössische Position der Malerin Caroline Streck (*1986 in Kempen am Niederrhein, lebt und arbeitet in Frankfurt a.M. und Köln) zeigt, ist die Abstraktion vor allem eines: politisch. Um dies nachvollziehen zu können, müssen wir ein Zwiegespräch mit der Kunst eingehen, verschränkt sich doch gerade die Abstraktion meistens einer klaren Lesart.
„Happily Ever Closer“ ist der Titel der Einzelausstellung Strecks, der beim ersten Hören ungewohnt familiär klingt. Der Titel entlehnt sich der Redewendung „Happily ever after“ (dt. glücklich bis an ihr Lebensende), welche die romantische Vorstellung einer heteronormativen, anhaltenden Ehe beschreibt. Der Spruch ist bekannt aus Erzählungen, die sich meist an ein weibliches Publikum richten sollen. Streck greift diese Redewendung auf, und wirft sie aus dem erzählerischen Narrativ in unsere Jetzt-Zeit. „Closer“ benennt das Nahekommen, das Verringern von Distanz – ein Maß, das während der Pandemie (zurecht) politisiert wurde. Die Ausstellung besteht vorrangig aus Kleinformaten sowie drei Mittelformaten. Das Format, das vorerst eine künstlerische Entscheidung darstellt, fordert uns Betrachter*innen im institutionellen Raum zu einer Neujustierung des Verhältnisses von Nähe und Distanz auf. Das Format spiegelt zugleich die soziale Realität der künstlerischen Praxis Strecks wider: Die Werke sind allesamt in den vergangenen zwei Jahren entstanden; die Künstlerin hat ihre Arbeit zeitweise in ihre eigene Wohnung verlagert.
Schichten über Schichten liegen die Farben übereinander auf der Leinwand. Der Duktus des Pinselstrichs ist klar erkennbar. Die konzentrierten, zweidimensionalen Formen leiten den Blick der Betrachter*innen durch die Farbbahnen. Streck setzt die Farben präzise an, an vereinzelten Stellen sind sie opak, dann wieder dichter, die Linien in Millimetern abweichend, sodass andere Farbschichten durchblitzen. Durch die von Streck gewählten Kontraste und pedantisch gemalten Formen flirren die Oberflächen der Werke, was wiederum durch die eingeforderte Nähe des Formats verstärkt wird.
Am Beginn jedes Werks steht für Streck die bewusste Markierung der Leinwand (eng. mark-making) mittels einer einfachen Form wie einer Linie oder einem Punkt, aus welcher heraus die Muster entstehen. Diese reichen bis an die Grenzen der aufgespannten Leinwand und überschreiten diese nicht. Ihre Formensprache entnimmt die Künstlerin aus unbestimmten Eindrücken von Architekturen, Medien, oder massenverbreiteten Symbolen und Zeichen. Werken wie „LOOPS & ERLÖSUNG“, „HAPPILY EVER 1“, „HAPPILY EVER 2“, und „CHURCHY FLIP“ liegt, wie bereits im Titel angelegt, ein religiöses Sujet zugrunde, das sich in den dargestellten Mustern zu spiegeln scheint, die in dieser Lesart wie Heiligenscheine oder sakrale Architekturen anmuten. Die verkürzten spielerischen Titel brechen die Anlehnungen nonchalant auf, und lassen einen Moment der Realitätsflucht erahnen, vielleicht auch vor dem Hintergrund der Pandemie und einer dystopischen Weltaussicht.
Ein Werktitel ist besonders prägnant, da er auf die kunsthistorische Tradition verweist, in der Strecks Werke stehen. „STELLADICHEIN“ referiert auf den US-amerikanischen Maler Frank Stella, dessen Position als abstrakter Maler der Nachkriegszeit im kunsthistorischen Kanon unumstritten ist. Aus der Mitte der Bildfläche heraus entwickelt sich eine Form, die als Phallus gelesen werden kann – oder als Rakete. Zugleich kann aber auch eine Vulva erkannt werden. Es scheint, als würde uns die Malerin hier, auch im Hinblick auf das größere Format und die akkurat gesetzten Linien, eine augenzwinkernde Persiflage auf die männliche Geschichte der Abstraktion, der Hard-Edge-Maler, und der musischen Halbgötter präsentieren.
Wie die Künstlerin Harmony Hammond in ihrem Essay „Feminist Abstract Art“ (1977) feststellt, ist es weit verbreitet, die Geschichte der Abstraktion als eine von Männern dominierte Kunst-Geschichte zu verstehen, blickt man doch auf eine vermeintlich lineare Geschichtsschreibung zurück, der nach sich die künstlerische Abstraktion aus einer vorangegangenen inneren Logik der Kunst entwickelt hat. Löst man jedoch den Blick von dieser Systematisierung und bezieht das heimische und industrielle Handwerk mit ein wird deutlich, dass es sich hierbei um eine weibliche Geschichte handelt: Weben, Sticken, Nähen sind Praktiken, die vornehmlich von Frauen ausgeübt worden sind. Dabei waren die produzierten Materialien keine rein schönen abstrakten Muster, sondern besaßen auch politische oder symbolische Bedeutungen (Hammond, 1977). Unser Kunstbegriff, so meine Annahme in Anschluss an Hammond, ist ein normatives Korsett der westlichen Hemisphäre, dass diese Geschichte ausschließt, da das Handwerk per se ausgeschlossen wird und gegenseitige Einflüsse wenig beachtet wurden.
Caroline Streck versteht es mit ihren Arbeiten, sich gegen diese Konstitution zu stellen, und eine selbstbewusste, feministische Tradition fortzuschreiben. Sich selbst nicht zu ernst nehmend, wie es sich in den Titeln spiegelt, besteht sie jedoch in aller Ernsthaftigkeit auf die Abstraktion, arbeitet aus der Linie kommend in Mustern, Schicht um Schicht, Farbe um Farbe. Statt ein anderes Medium oder einen anderen Stil zu besetzen, eignet sie sich die Tradition der Abstraktion an, übersetzt sie in die Gegenwart, ohne dabei anachronistisch zu sein, und schafft es, die politische und soziale Realität, die in dieser Geschichte der Kunst oftmals in den Hintergrund rückte, mit ihrer künstlerischen Praxis zu verweben.
Seda Pesen, 2022
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Happily Ever Closer
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The history of art is a story of class and gender. The vitality of genius, the power of creativity – both cultivated far from the domains of gainful employment or care work – and, in keeping with tradition, the male subject as the main protagonist of creation. The notion of the male genius is treated as a bygone myth as the boundaries between art forms eroded (in terms of medium and reception) in the 20th century. Even so, it was the quaint gestures of the abstract painters who – supposedly decoupled from any social reality – reflected the ideas of a preternatural creative spirit and artistic potency. As a counterpoint to positions such as these, feminist theorists and artists have rightly waded in on the dispute as to how abstraction should be understood. As demonstrated by the contemporary stance of painter Caroline Streck (born 1986 in Kempen (Niederrhein), lives and works in Frankfurt and Cologne), abstraction can be perceived in one way in particular: politically. To properly understand this, we have to enter into dialogue with art, despite the fact that abstraction, by definition, tends to make a clear reading difficult.
“Happily Ever Closer” is the title of Streck’s solo exhibition, which has a familiar ring to it at first sight. The title takes its inspiration from the phrase “Happily ever after”, which encapsulates the romantic ideal of a lasting heteronormative marriage. Commonly found in narratives that tend to be directed toward female audiences, Streck takes this expression out of its storybook surroundings and projects it into our present. “Closer” refers to the act of approaching, of reducing distance – something that (rightly) became politicised during the pandemic. The exhibition consists primarily of small-scale works along with three medium-format works. The format, which is an artistic decision in itself, challenges us viewers in our institutional environment to reassess the relationship between proximity and distance. At the same time, the format reflects the social reality of Streck’s artistic practice: the pieces were all created in the past two years, with the artist temporarily moving her work into her own place of residence.
The colours lie on top of each other, layer after layer, on the canvas. The flow of the brush stroke is clear to see. The concentrated two-dimensional forms guide the eye of the viewer along the bands of paint. Streck applies the colours with precision: at times opaque, at others denser, the lines deviating by a matter of millimetres, so that other layers of paint can be glimpsed between them. The contrasts and pedantically painted forms chosen by Streck cause the surfaces of the works to shimmer, an effect reinforced by the proximity demanded by the format.
When starting any new artwork, Streck deliberately marks the canvas – known as mark-making – with a simple form such as a line or a dot, from which patterns emerge. These patterns reach all the way to the edges of the stretched canvas, but do not go beyond them. The artist bases her design vocabulary on loose impressions of architecture, media formats, and mass-distributed symbols and signs. As suggested by their titles, a religious theme underpins such works as “LOOPS & ERLÖSUNG” [Loops & Redemption], “HAPPILY EVER 1”, “HAPPILY EVER 2” and CHURCHY FLIP”. This subject appears to be reflected in the patterns depicted on the canvas, which in this reading seem like halos or sacral architecture. The playful, abridged titles are nonchalant in picking apart allusions and constructs, suggesting a moment of escape from reality, possibly factoring in the pandemic and a dystopian world view.
The title of one work is especially meaningful, as it refers to the context of art history in which Streck’s works are placed. “STELLADICHEIN” (a play on the German ‘Stelldichein’, meaning ‘date’ or ‘rendezvous) refers to the US-American painter Frank Stella, whose role in abstraction in the post-war period is undisputed in the canon of art history. A form takes shape starting at the centre of the painting’s surface. It could be perceived as a phallus – or a rocket. But there is another shape, too: that of a vulva. It seems as if the painter is presenting us – not least when considering the larger format and perfectly ordered lines – with a tongue-in-cheek, satirical take on the male history of abstract art, the hard-edge painters and the artistic demigods.
As the artist Harmony Hammond notes in her essay “Feminist Abstract Art” (1977), abstraction is widely seen as an (artistic) movement dominated by men, looking back on an allegedly linear historiography according to which artistic abstraction has evolved from a preceding inner logic of art. Once, however, we free ourselves from this systematised viewpoint and factor in local and industrial artisan work, it becomes clear that this history is one characterised by women: weaving, knitting and sewing are all practices that were chiefly practised by women. In that respect, the materials produced were not purely aesthetic abstract patterns, but were imbued with a political or symbolic meaning (Hammond, 1977). Taking Hammond as the basis for my hypothesis, our concept of art is one of a normative corset wrapped around the western hemisphere. It excludes this female-inflected history, as artisan work is intrinsically excluded and little attention is paid to any mutual influences that may have existed.
Through her works, Caroline Streck stands in opposition to this constitution, seeking instead to pursue a tradition that is feminist and self-confident. While she does not take herself too seriously – as the titles of the works reflect – Streck nevertheless insists on abstraction in all earnestness, turning a single line into patterns that take shape layer by layer, colour upon colour. Rather than adopting a different medium or style, Streck usurps the tradition of abstraction, interprets it through a contemporary lens without ever being anachronistic, and manages to weave into her artistic practice a political and social reality – something which has often been pushed into the background when it comes to the history of this art movement.
Seda Pesen, 2022
Dancing Tangerine Tango (Textauszug zur Ausstellung mit Natalie Brück, Künstlerhaus Sootbörn, 2022)
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Alle Strahlen laufen auf das Zentrum zu und sehr wahrscheinlich von dort auch wieder zurück again, in das was nicht Zentrum ist, über was das Peripherie sein könnte, es aber nicht ist, so wie die ganze Symmetrie kein bisschen symmetrisch ist, weil die immer wieder gebrochen wird von noch dickeren Pinselstrichen auf der Leinwand um das gebrochene symmetrisch Abstrakte noch realistischer gebrochen abstrakt symmetrisch zu machen.
Ich mag wie auf den Bildern, den Malereien von mir aus alles, alle Form und Inhalt, am Beginn meiner Betrachtungen noch in die Lücken der „messy“ Formen schmilzt und ich spüre wie sehr befriedigend es wohl sein muss, die dicken Striche Acrylfarbe auf die unter dem Druck der Berührung wahrscheinlich leicht nachgebende Leinwand aufzutragen. In der Ausstellung würde ich die Bilder heimlich berühren wollen. Nur mit ausgestrecktem Finger kurz. Striche ganz klar & breit, Formen ganz klar & schlicht, die alle an den Rändern verschwimmen, sich anlösen, auflösen, die zerfließen – noch mehr wenn dann Stella auftaucht, mal eben kurz im Titel und in bewusster Imperfektion nebenbei mitübermalt wird. Nicht nur geschichtlich gesehen denke ich. Illusion von Gradlinigkeit. Statt streng abgegrenzter geometrischer Formen und Körper, jetzt die Männermalerphantasien aufgeweicht und transparent geworden und durchlässig verflüssigt für die angrenzenden Farben und Linien. Gelb um die Mitten, Grün am einen Rand und beide Farben machen die Rosas insgesamt noch rosaner und im Zentrum ein helleres Blau. Meine Interpretationsmaschine gerät an ihre Grenzen. Loops und Erlösung. Happily Ever After. Ich erkenne transzendente Referenzen, vielleicht meiner aktuellen Umgebung geschuldet und mir höchst willkommen. Was sich also grade noch in Gleichgewichten auf und innerhalb der Leinwand bewegt hat, wird plötzlich, mehr noch zu Richtungen und diese Richtungen, genau wie deren Deutungen verlassen irgendwann die Ränder der Malerei. Statische Formen nur mehr eine Illusion der eigenen Wahrnehmung. Ich weiß nicht ob es um Mystik, um innere Erfahrungen, Ekstasen geht. Caroline bewegt sich in Richtung eines Nicht-Sichtbaren, in Richtung eines Sowieso-Nicht-Darstellbaren und wir bewegen uns mit über die Ränder drüber raus.
„Du bist Malerin und Instrument zugleich, die Grenzen zwischen dir und deinem Objekt verschwimmen, spiegeln, bekämpfen sich.“, sagt Amy Sillman und was sie hier auf die Abstrakte Malerei bezieht, kann schon auch für die ganze Interpretationsarbeit gelten, wie ich finde. Wir treten ein in den „intimen und unangenehmen Prozess der Veränderung von Dingen, während sie schiefgehen, unangenehm aussehen, während man sich mit ihnen auseinandersetzen muss“. Nicht mehr nur die Formen innerhalb des Rahmens, auch die Bilder, die Malereien, die Arbeiten selber werden entgrenzt und wir als Betrachter:innen gleich mit. Es geht um mehr als das, was wir zu sehen bekommen, auch wenn wir genau das nicht exakt bestimmen können, immer.
„Who is Stressed More“ wirkt für mich da nochmal sehr viel direkter als die Malereien. Hier wird sofort, klar, welches Außerhalb abseits des Bildes angerufen wird. Es geht, heute vielleicht mehr noch als um 1966 zur Zeit von Sontags Essay „Über Interpretation“, auch um die Bedingungen unter denen Kunst gemacht wird und gezeigt wird und nicht gezeigt wird – die Hierarchien und die vielfältigen Zugangsbeschränkungen und Ausschlusskriterien, die PayGaps und Burnouts und falschen Versprechen.
Jan Erbelding (2022)
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Malerei als Konstruktion eines gefühlten Moments
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Wie lässt sich ein Moment, eine Person oder ein Gefühl in Farbe fassen? Und auf welche Weise können interne Empfindungen in ein Äußeres und ein Externes in Innenliegendes transportiert werden? In ihren Malereien begibt sich Caroline Streck auf die Suche nach einer rhythmischen Übertragung eben jener intuitiven Wahrnehmung auf die Oberfläche ihrer Leinwände. Den körperlichen Akt des Malens selbst, der oftmals auf wiederkehrenden, körpergroßen Formaten stattfindet, begreift sie dabei als einen Dialog mit dem Gegenüber. In ihrem Fall bildet zumeist ein bespannter Keilrahmen dieses Gegenüber, dem sie in mehreren, zum Teil lasierenden Schichten begegnet. In geradlinigen Farbbahnen entstehen symmetrische Muster und Streifenformationen, die in regelmäßigen Abständen die Bildoberfläche strukturieren. Die Instrumente dieser malerischen Handlungen sind industriell gefertigte Pinsel unterschiedlicher Stärke, die durch ihre vorgegebene Breite die Form der Bildkonstruktionen prägen. Den malerischen Prozess vergleicht die Künstlerin mit einem Impuls, der einer momentanen, intensiven Lust nach Farbe und Form nachgeht. „Ich weiß ganz genau, dieses Bild könnte keine andere Farbe haben“, betont sie bei meinem Besuch in ihrem Atelier in Frankfurt.
Der Ausgangspunkt ihrer Werke basiert jedoch nicht nur auf intrinsischen Prozessen, sondern spiegelt häufig auch externe Strukturen wieder. In ihrer formalen Formgebung und seriellen Anordnung erinnern Strecks Bildträger an alltägliche Realräume – Räume unseres Zusammenlebens, Landschaften der modernen Gesellschaft. Stadtgewebe, die durch symmetrische Strukturen, Straßenführungen, Häuserfronten und Spiegelungen unsere Leben bestimmen. Die Lebensräume der Künstlerin in Frankfurt am Main, aber auch ihre früheren Studienorte London und Istanbul verbindet ein urbaner, dynamischer Charakter, der möglicherweise die wiederkehrenden Strukturen prägte, die ihren Malereien immanent ist.
Blickt man auf den Verlauf Strecks künstlerischer Entwicklung, veränderte sich ihr Pinselduktus in den letzten Jahren von einem streng kontrollierten, am Gegenstand orientierten, hin zu einem eher freien, rhythmischen Farbauftrag. Während ihre früheren Malereien zwischen 2010-2013 gegenständliche Motive in direkter Weise übertrugen, sind spätere und neueste Arbeiten hingegen von einer abstrakten, sich vom Gegenstand lösenden Geste getrieben. In dieser werden in einer meditativen Rhythmik regelmäßige, sich wiederholende Formen innerhalb des Bildgeschehens zu neuen, abstrakten Räumen. Viele ihrer Arbeiten sind durch eine diagonale Linie, die sich oftmals im Hintergrund liegend über den ganzen Bildraum erstreckt, strukturiert. Gleich einer stabilisierenden Komposition, die auch im Realraum Verwendung findet, z.B. als stützendes Element im Gerüstbau, könnte man die Diagonale in Strecks Malereien als tragende Linie des Bildgeschehens betrachten.
Die formale Analyse der Werke weist also auf Bekanntes hin, doch vertieft man den Blick und betrachtet das hinter den Konstruktionen Verborgene, erkennt man eine Auflösung, einen möglichen Zerfall eben jener Ordnungen. Auch die rhythmischen Pinselstriche wirken nur aus größerer Entfernung strukturiert und ordentlich, bei genauerem Hinsehen lassen sich jedoch Farbspritzer, Unregelmäßigkeiten und Unebenheiten ausmachen. Momente, die von der Norm abweichen, und die konsequente Umgrenzung der Struktur verwischen, kennzeichnen viele ihrer Arbeiten.
Ordnung und Struktur im malerischen, aber auch im städtischen Raum schaffen für gewöhnlich Kategorien und unterteilbare Zonen, die sich berechnen und prognostizieren lassen. Doch innerhalb dieser Konstruiertheit entstehen zugleich Zerstückelungen, und inmitten vorgegebener Formen bleiben Leerstellen, Zwischenpassagen und Fragmenträume übrig. Solche ‚Lücken‘ entstehen auch auf Strecks Leinwänden, die ein autonomes Gewebe bilden, das innerhalb formaler Gliederungen ein ungeplantes, unkontrolliertes Eigenleben entwickeln kann, in dem der Zufall des Momentes wuchert. Besonders durch die intuitive Nutzung von Farbe wird Kontrolle losgelassen und werden Konstruktionen verflüssigt. Die logische Struktur weicht so zugunsten einer Rhythmik, die durch freie Bewegungen und übereinander lagernde Farbschichten geprägt ist. Fast vergnügt wirken beispielsweise die Linien, die von einem Ende zum anderen in 2 Magenta oder Shadow Blue wandern. Zwar bewegen sie sich geradlinig, aber keinesfalls gleichförmig – jeder Pinselstrich ist singulär und nicht nachahmbar – und es entsteht ein abstrakter Raum, der durch die Flüchtigkeit von gefühlten Momenten gelenkt wird.
Besonders deutlich wird das Verhältnis von Intuition und Farbe in der Aquarellserie Farbportraits (2019–ongoing). Hinter diesen horizontalen, regelmäßigen Farbbahnen, die mittig auf das Papier aufgetragen wurden, verbergen sich, den Titeln folgend, Persönlichkeiten – Familie, Freunde und Bekannte der Künstlerin. Jede Farbkarte charakterisiert Personen und stellt die Verfransungen des Lebens durch unterschiedliche Farbpaletten, die von Streck mit den jeweiligen Personen assoziiert werden, in den Vordergrund. In der Farbe liegt demnach auch eine Art Unsachlichkeit, die Ausdruck einer Lust, eines Gefühls, einer momentanen Stimmung ist. Schließlich findet sich in Strecks Malereien eine Kombination aus sowohl internen Prozessen als auch externen Strukturen, die als scheinbare Gegenpole durch den malerischen Prozess in einen Dialog treten und ein neues Gemeinsames bilden, in dem das Gefühl die Struktur aufweicht, welche diesem wiederum Stabilität ermöglicht.
Sonja-Maria Borstner, 2020
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Between Form and Sentiment
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How can a moment, a person or a feeling be captured through painting? How can internal sensations be expressed as something outside oneself? Likewise, how can the external be internalized? In her paintings, Caroline Streck seeks to transfer this intuitive state of awareness to canvas as part of a rhythmic process. She perceives the physical act of painting – often working with recurring formats as tall as a human being – as a form of dialogue with a counterpart. In Streck’s case, this counterpart is usually a covered stretcher bar that she engages with by applying layer after layer of paint (sometimes through glazing). Linear bands of color create symmetrical patterns and striped formations at regular intervals, both of which work to structure the surface of the piece. The tools she uses to bring these paintings into existence consist of industrial brushes of different grades, whose fixed widths are responsible for giving the pieces their form and style. Streck compares the process of painting to an impulse that leads one to act on a fleeting, intensive desire to create color and form. “I know for certain that this work could not be created in any other color,” she asserts when I visit her studio in Frankfurt.
Even so, her paintings are based not only on intrinsic processes; rather, they are often a reflection of external structures. When perceived in terms of their formal design and series format, Streck’s works evoke recognizable day-to-day spaces that are indicative of coexistence, landscapes and modern society. These are strands in the urban fabric that defines our lives in the form of symmetrical structures, roadways, building façades, mirror images. The artist’s living environments – primarily Frankfurt am Main, though also London and Istanbul where she previously studied – share a dynamic urban identity that may have influenced the recurring structures inherent to her paintings.
A glance at Streck’s evolution as an artist reveals how her style with the brush has changed in the past few years from a tightly controlled approach focusing on the object to a freer, more rhythmic way of using paint. While the paintings she created between 2010 and 2013 were aimed at transferring concrete subjects directly to canvas, her more recent and latest works are characterized by an abstract style uncoupled from the object in question. The latter allows for a meditative, rhythmic approach wherein regular, recurring forms evolve into new, abstract spaces within the framework of the painting. Many of her works are structured with a diagonal line that extends across the entire image – often in the background of the piece. This diagonal line in Streck’s paintings could be seen as bearing the weight of all that is occurring within the image, the kind of stabilizing composition that one might find in real spaces, e.g. a support element in scaffolding.
While a formal analysis of her works may point to the familiar, a closer, more considered look at the hidden aspects behind the structures results in their dissolution and the disintegration of their constructed forms. The rhythmic brush strokes, too, only appear neat and structured from a distance; when perceived up close, it is possible to see paint splatters, bumps and places where the paint has been applied unevenly. Many of Streck’s works consist of moments that deviate from the norm and blur a structure’s boundaries.
Order and structure both in paintings and in urban spaces generally lead to the creation of categories and definable zones that are facilitators of calculation and prediction. It is precisely within this constructed space, however, that fragmentation occurs. Predefined forms are awash with voids, interstitial spaces, fragmentary chasms. These omissions, or breaks, are also evident in Streck’s canvases: autonomous threads that can take on an unplanned, uncontrolled life of their own within a formal framework. It is here that the fortuity of a moment has the opportunity to flourish. The intuitive use of paint in particular loosens the bonds of control and reduces a construct to a more fluid state. The logical structure thus gives way to a rhythm characterized by free movement and layers of paint that sit atop one another.
The lines running from one end to the other in works such as 2 MAGENTA and SHADOW BLUE appear to leave an almost cheerful impression. They may be linear, but they are far from uniform in their execution – every brush stroke is unique and cannot be replicated. This creates an abstract space guided by the fleeting nature of a momentary feeling.
The relationship between intuition and the paint being applied to canvas is especially clear in the watercolor series FARBPORTRAITS (2019–ongoing). As the title of the series suggests, these periodic horizontal bands set down in the center of paper actually capture individual personalities – families, friends and acquaintances of the artist. The interplay of colors reflects specific persons, while the use of different tones – which Streck associates with the personality she seeks to capture – emphasizes how life can fray and unravel. There is also a lack of objectivity to the paint, which expresses a desire, a feeling, a mood at that moment in time. Ultimately, Streck’s paintings are a combination of internal processes and external structures that enter into dialogue with one another, seemingly as opposites, during the painting process, bringing about a new, mutual understanding where feeling renders the structure less rigid and, in turn, paves the way for stability.
Sonja-Maria Borstner, 2020
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Maßlose Malerei
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Die uralte Frage nach dem „Was“ stellt sich jeder Malerin und jedem Maler neu. Spielt die Welt der Dinge im Bild noch eine Rolle? Gibt es eine Verankerung im unmittelbar Erlebten und Angeschauten? Oder wird Farbe eher als selbständiges Ausdrucksmittel, als Materie, als Energieträger verstanden?
Zurück von ihrem zweijährigen Aufenthalt in London, wo sie am Chelsea College of Arts ein Masterstudium abschloss, hat Caroline Streck eine Serie von Gemälden mitgebracht, die ihre bisherige künstlerische Entwicklung konsequent fortschreiben. Die bereits zuvor erkennbar gewordene Zuwendung zu einer gegenstandslosen Malerei wurde nun vollständig vollzogen. Den Weg dorthin beschreibt Caroline Streck als einen notwendigen Prozess des Loslassens, der längst nicht nur den Gegenstand, sondern ihre malerische Herangehensweise in einer ganz grundsätzlichen Weise betrifft. Denn im Zuge dessen hat sie sich nicht nur von den Dingen und ihrem Bedürfnis nach malerischer Wirklichkeitsaneignung, sondern auch vom vergleichenden Blick auf das fotografische Vorbild, vom Planen und Messen verabschiedet. Anstelle der Jalousien und Rollos, der Gardinen und Geranien, die etwa ihre früheren Fensterbilder kennzeichneten, beherrschen Streifen, Linien, Muster und Flächen die neue Bildwelt von Caroline Streck.
Inspiration sucht sie allerdings weiterhin erfolgreich vor ihrer Ateliertür. Während der Auslandsaufenthalte zwischen 2014 und 2017 in Istanbul und London hat Caroline Streck mit wachen Augen die Räume der Metropolen durchmessen, hat Architekturen und Oberflächen studiert, nach Perspektiven gesucht und das ungeordnete Nebeneinander im Alltäglichen gefunden. Aus einer intensiven Reibung mit dieser unstrukturierten Wirklichkeit des Großstadtgetriebes gewinnt sie den Formenapparat und den Rhythmus ihrer Bilder: die Vergitterungen und Brechungen, das Harte und Chaotische, das Schrille und das Matte – alles atmet gleichermaßen die Überhitzungen und die Kälte der großen Stadt. Aus ihrem Reizgeflecht konstruiert sie ihre jüngsten Bilder, daraus erwachsen die oftmals bis in den Beschnitt reichenden Strukturen, daraus entsteht eine neue, manchmal aufdringlich laute, manchmal ruppig-trashige aber niemals langweilige Bildwirklichkeit.
Einige ihrer Malereien als Wandarbeiten im öffentlichen Raum zu zeigen, sie zu einem Teil des Stadtbildes, der Architektur werden zu lassen, erwies sich als spannendes Experiment. Ihre Kompositionen können sich im Rahmen einer gegebenen Situation durchsetzen, sie bleiben erkennbar, als das, was sie sind: eigene Stimmen im Stakkato des polyphonen Großstadtlebens. Die Freiheit vom Gegenstand hat Caroline Streck zu einer größeren Unmittelbarkeit, zu einer skizzenhaften Spontaneität im malerischen Tun geführt. Leiten lässt sie sich von den eigenen wechselnden Eindrücken und Stimmungen, die in sehr konkreter Form als Schichtungen von Farbe Eingang in das Bild finden. Die Leinwand wird so zu einer Verdichtungsmaschine
von Zeit, zum Speichermedium des Situativen. Das was eben noch da war, wird überlagert von neuem und bleibt dennoch ein unsichtbarer Bestandteil des Bildes. Hinter der Rohheit der Oberfläche liegen die vielen Schichten des Vergangenen. Hinter einer Handschrift, die von einem schnellen Malakt erzählt, liegt ein manchmal langwieriger Weg zum fertigen Bild. Intensive Spuren der Bildfindung, der hier und da durchscheinenden Farbschichtungen, weisen auf die potentiellen Alternativen des schließlich zum Schlusspunkt gelangten Werkes hin. Malen erweist sich nun als lustvolle Unvernunft, als produktive Maßlosigkeit. Jede neue Farbschicht zerstört das Vorhandene und behauptet sich schließlich vor dem Spektrum seiner möglichen Varianten: Für Caroline Streck eine weitere Übung im Loslassen des eben noch Gültigen im Vertrauen auf ihre Intuition, ihr Augenmaß, ihre pinselführende Hand.
Martina Padberg, 2018
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Painting unbound
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Every painter seeks to answer the age-old question – What is my focus? – in their own way. Does the realm of earthly things continue to have a role to play in the final painting? Do our immediate experiences and the things we see provide an adequate basis for creation? Is colour an independent form of expression, a material, a source of energy? After spending two years completing a Master’s degree at Chelsea College of Arts in London, Caroline Streck has returned to Germany with a series of paintings that shines a light on the continuation of her evolution as an artist to date. Her tendency toward abstract painting – elements of which were previously recognisable in many of her works – has now bloomed into a fully-fledged artistic focus. Streck describes her path to this point in her development as an essential process of letting go, both with regard to the subject matter itself and in her fundamental approach to the medium. As she has grown as an artist, Streck has left behind her need to replicate reality in her paintings through identifiable images, and is no longer occupied with providing near-photographic reproductions or planning and measuring in meticulous detail. In place of the shutters, roller blinds, curtains and geraniums that populated her earlier paintings of windows, Streck’s eye is now trained on stripes, lines, patterns and spatial planes.
Despite this, Streck continues to look for inspiration on her doorstep. During her time abroad in Istanbul and London between 2014 and 2017, she explored these cities with open eyes, studying architectural forms and surfaces, seeking out different perspectives, and observing chaotic parallels in day-to-day existence. Extensive – and intensive – contact with the unstructured reality found in these world cities enabled her to introduce a repertory of forms and rhythm into her paintings: folds and breaks, rigid and chaotic shapes, shrill and matte forms. They all serve to reflect the various facets of the metropolis as it blows hot and cold. From this, she has created her latest paintings: the structures and forms on the canvas bleed out beyond its edges, resulting in a new, sometimes intrusively loud, sometimes rough and ready reality which, critically, is never dull.
Displaying some of her paintings as murals in a public space – thus making them part of the cityscape and enabling them to become architecture in their own right – has proven to be an exciting experiment. Her compositions are able to establish themselves within the context of a specific situation while retaining their underlying identity: they are clear voices to be heard amid the staccato rattle of big city life. Freedom from objects has led Streck to capture a greater sense of immediacy, to explore a roughly sketched spontaneity in her artworks. She is guided by her own everchanging impressions and moods that manifest themselves specifically as layers of colour, thereby providing a point of entry to the work. In essence, the canvas is transformed into a machine that compacts time, a storage device that records the situation as it unfolds. The new is superimposed over the old, yet the old remains an essential, albeit invisible part of the image, with the many layers of the past undercutting the raw nature of the painting’s surface. Behind a handwritten message pointing to the urgency of the painting process is often a protracted journey to creating the finished picture. Clear traces of the fundamental work that went into the painting and the different layers of paint that show through here and there indicate potential alternatives to how the work actually turned out. The art of painting is redefined as an expression of humorous irrationality and productive excess. Each new coating serves to destroy the existing layer, ultimately transcending the spectrum of its possible variants. For Caroline Streck, these paintings constitute another exercise in letting go of her past preconceptions and trusting wholeheartedly in her intuition, her eye for forms on the canvas, and the hand that holds the paintbrush.
Martina Padberg, 2018
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Malerei als Konstruktion eines gefühlten Moments
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Wie lässt sich ein Moment, eine Person oder ein Gefühl in Farbe fassen? Und auf welche Weise können interne Empfindungen in ein Äußeres und ein Externes in Innenliegendes transportiert werden? In ihren Malereien begibt sich Caroline Streck auf die Suche nach einer rhythmischen Übertragung eben jener intuitiven Wahrnehmung auf die Oberfläche ihrer Leinwände. Den körperlichen Akt des Malens selbst, der oftmals auf wiederkehrenden, körpergroßen Formaten stattfindet, begreift sie dabei als einen Dialog mit dem Gegenüber. In ihrem Fall bildet zumeist ein bespannter Keilrahmen dieses Gegenüber, dem sie in mehreren, zum Teil lasierenden Schichten begegnet. In geradlinigen Farbbahnen entstehen symmetrische Muster und Streifenformationen, die in regelmäßigen Abständen die Bildoberfläche strukturieren. Die Instrumente dieser malerischen Handlungen sind industriell gefertigte Pinsel unterschiedlicher Stärke, die durch ihre vorgegebene Breite die Form der Bildkonstruktionen prägen. Den malerischen Prozess vergleicht die Künstlerin mit einem Impuls, der einer momentanen, intensiven Lust nach Farbe und Form nachgeht. „Ich weiß ganz genau, dieses Bild könnte keine andere Farbe haben“, betont sie bei meinem Besuch in ihrem Atelier in Frankfurt.
Der Ausgangspunkt ihrer Werke basiert jedoch nicht nur auf intrinsischen Prozessen, sondern spiegelt häufig auch externe Strukturen wieder. In ihrer formalen Formgebung und seriellen Anordnung erinnern Strecks Bildträger an alltägliche Realräume – Räume unseres Zusammenlebens, Landschaften der modernen Gesellschaft. Stadtgewebe, die durch symmetrische Strukturen, Straßenführungen, Häuserfronten und Spiegelungen unsere Leben bestimmen. Die Lebensräume der Künstlerin in Frankfurt am Main, aber auch ihre früheren Studienorte London und Istanbul verbindet ein urbaner, dynamischer Charakter, der möglicherweise die wiederkehrenden Strukturen prägte, die ihren Malereien immanent ist.
Blickt man auf den Verlauf Strecks künstlerischer Entwicklung, veränderte sich ihr Pinselduktus in den letzten Jahren von einem streng kontrollierten, am Gegenstand orientierten, hin zu einem eher freien, rhythmischen Farbauftrag. Während ihre früheren Malereien zwischen 2010-2013 gegenständliche Motive in direkter Weise übertrugen, sind spätere und neueste Arbeiten hingegen von einer abstrakten, sich vom Gegenstand lösenden Geste getrieben. In dieser werden in einer meditativen Rhythmik regelmäßige, sich wiederholende Formen innerhalb des Bildgeschehens zu neuen, abstrakten Räumen. Viele ihrer Arbeiten sind durch eine diagonale Linie, die sich oftmals im Hintergrund liegend über den ganzen Bildraum erstreckt, strukturiert. Gleich einer stabilisierenden Komposition, die auch im Realraum Verwendung findet, z.B. als stützendes Element im Gerüstbau, könnte man die Diagonale in Strecks Malereien als tragende Linie des Bildgeschehens betrachten.
Die formale Analyse der Werke weist also auf Bekanntes hin, doch vertieft man den Blick und betrachtet das hinter den Konstruktionen Verborgene, erkennt man eine Auflösung, einen möglichen Zerfall eben jener Ordnungen. Auch die rhythmischen Pinselstriche wirken nur aus größerer Entfernung strukturiert und ordentlich, bei genauerem Hinsehen lassen sich jedoch Farbspritzer, Unregelmäßigkeiten und Unebenheiten ausmachen. Momente, die von der Norm abweichen, und die konsequente Umgrenzung der Struktur verwischen, kennzeichnen viele ihrer Arbeiten.
Ordnung und Struktur im malerischen, aber auch im städtischen Raum schaffen für gewöhnlich Kategorien und unterteilbare Zonen, die sich berechnen und prognostizieren lassen. Doch innerhalb dieser Konstruiertheit entstehen zugleich Zerstückelungen, und inmitten vorgegebener Formen bleiben Leerstellen, Zwischenpassagen und Fragmenträume übrig. Solche ‚Lücken‘ entstehen auch auf Strecks Leinwänden, die ein autonomes Gewebe bilden, das innerhalb formaler Gliederungen ein ungeplantes, unkontrolliertes Eigenleben entwickeln kann, in dem der Zufall des Momentes wuchert. Besonders durch die intuitive Nutzung von Farbe wird Kontrolle losgelassen und werden Konstruktionen verflüssigt. Die logische Struktur weicht so zugunsten einer Rhythmik, die durch freie Bewegungen und übereinander lagernde Farbschichten geprägt ist. Fast vergnügt wirken beispielsweise die Linien, die von einem Ende zum anderen in 2 Magenta oder Shadow Blue wandern. Zwar bewegen sie sich geradlinig, aber keinesfalls gleichförmig – jeder Pinselstrich ist singulär und nicht nachahmbar – und es entsteht ein abstrakter Raum, der durch die Flüchtigkeit von gefühlten Momenten gelenkt wird.
Besonders deutlich wird das Verhältnis von Intuition und Farbe in der Aquarellserie Farbportraits (2019–ongoing). Hinter diesen horizontalen, regelmäßigen Farbbahnen, die mittig auf das Papier aufgetragen wurden, verbergen sich, den Titeln folgend, Persönlichkeiten – Familie, Freunde und Bekannte der Künstlerin. Jede Farbkarte charakterisiert Personen und stellt die Verfransungen des Lebens durch unterschiedliche Farbpaletten, die von Streck mit den jeweiligen Personen assoziiert werden, in den Vordergrund. In der Farbe liegt demnach auch eine Art Unsachlichkeit, die Ausdruck einer Lust, eines Gefühls, einer momentanen Stimmung ist. Schließlich findet sich in Strecks Malereien eine Kombination aus sowohl internen Prozessen als auch externen Strukturen, die als scheinbare Gegenpole durch den malerischen Prozess in einen Dialog treten und ein neues Gemeinsames bilden, in dem das Gefühl die Struktur aufweicht, welche diesem wiederum Stabilität ermöglicht.
Sonja-Maria Borstner, 2020
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Between Form and Sentiment
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How can a moment, a person or a feeling be captured through painting? How can internal sensations be expressed as something outside oneself? Likewise, how can the external be internalized? In her paintings, Caroline Streck seeks to transfer this intuitive state of awareness to canvas as part of a rhythmic process. She perceives the physical act of painting – often working with recurring formats as tall as a human being – as a form of dialogue with a counterpart. In Streck’s case, this counterpart is usually a covered stretcher bar that she engages with by applying layer after layer of paint (sometimes through glazing). Linear bands of color create symmetrical patterns and striped formations at regular intervals, both of which work to structure the surface of the piece. The tools she uses to bring these paintings into existence consist of industrial brushes of different grades, whose fixed widths are responsible for giving the pieces their form and style. Streck compares the process of painting to an impulse that leads one to act on a fleeting, intensive desire to create color and form. “I know for certain that this work could not be created in any other color,” she asserts when I visit her studio in Frankfurt.
Even so, her paintings are based not only on intrinsic processes; rather, they are often a reflection of external structures. When perceived in terms of their formal design and series format, Streck’s works evoke recognizable day-to-day spaces that are indicative of coexistence, landscapes and modern society. These are strands in the urban fabric that defines our lives in the form of symmetrical structures, roadways, building façades, mirror images. The artist’s living environments – primarily Frankfurt am Main, though also London and Istanbul where she previously studied – share a dynamic urban identity that may have influenced the recurring structures inherent to her paintings.
A glance at Streck’s evolution as an artist reveals how her style with the brush has changed in the past few years from a tightly controlled approach focusing on the object to a freer, more rhythmic way of using paint. While the paintings she created between 2010 and 2013 were aimed at transferring concrete subjects directly to canvas, her more recent and latest works are characterized by an abstract style uncoupled from the object in question. The latter allows for a meditative, rhythmic approach wherein regular, recurring forms evolve into new, abstract spaces within the framework of the painting. Many of her works are structured with a diagonal line that extends across the entire image – often in the background of the piece. This diagonal line in Streck’s paintings could be seen as bearing the weight of all that is occurring within the image, the kind of stabilizing composition that one might find in real spaces, e.g. a support element in scaffolding.
While a formal analysis of her works may point to the familiar, a closer, more considered look at the hidden aspects behind the structures results in their dissolution and the disintegration of their constructed forms. The rhythmic brush strokes, too, only appear neat and structured from a distance; when perceived up close, it is possible to see paint splatters, bumps and places where the paint has been applied unevenly. Many of Streck’s works consist of moments that deviate from the norm and blur a structure’s boundaries.
Order and structure both in paintings and in urban spaces generally lead to the creation of categories and definable zones that are facilitators of calculation and prediction. It is precisely within this constructed space, however, that fragmentation occurs. Predefined forms are awash with voids, interstitial spaces, fragmentary chasms. These omissions, or breaks, are also evident in Streck’s canvases: autonomous threads that can take on an unplanned, uncontrolled life of their own within a formal framework. It is here that the fortuity of a moment has the opportunity to flourish. The intuitive use of paint in particular loosens the bonds of control and reduces a construct to a more fluid state. The logical structure thus gives way to a rhythm characterized by free movement and layers of paint that sit atop one another.
The lines running from one end to the other in works such as 2 MAGENTA and SHADOW BLUE appear to leave an almost cheerful impression. They may be linear, but they are far from uniform in their execution – every brush stroke is unique and cannot be replicated. This creates an abstract space guided by the fleeting nature of a momentary feeling.
The relationship between intuition and the paint being applied to canvas is especially clear in the watercolor series FARBPORTRAITS (2019–ongoing). As the title of the series suggests, these periodic horizontal bands set down in the center of paper actually capture individual personalities – families, friends and acquaintances of the artist. The interplay of colors reflects specific persons, while the use of different tones – which Streck associates with the personality she seeks to capture – emphasizes how life can fray and unravel. There is also a lack of objectivity to the paint, which expresses a desire, a feeling, a mood at that moment in time. Ultimately, Streck’s paintings are a combination of internal processes and external structures that enter into dialogue with one another, seemingly as opposites, during the painting process, bringing about a new, mutual understanding where feeling renders the structure less rigid and, in turn, paves the way for stability.
Sonja-Maria Borstner, 2020
• DE
Maßlose Malerei
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Die uralte Frage nach dem „Was“ stellt sich jeder Malerin und jedem Maler neu. Spielt die Welt der Dinge im Bild noch eine Rolle? Gibt es eine Verankerung im unmittelbar Erlebten und Angeschauten? Oder wird Farbe eher als selbständiges Ausdrucksmittel, als Materie, als Energieträger verstanden?
Zurück von ihrem zweijährigen Aufenthalt in London, wo sie am Chelsea College of Arts ein Masterstudium abschloss, hat Caroline Streck eine Serie von Gemälden mitgebracht, die ihre bisherige künstlerische Entwicklung konsequent fortschreiben. Die bereits zuvor erkennbar gewordene Zuwendung zu einer gegenstandslosen Malerei wurde nun vollständig vollzogen. Den Weg dorthin beschreibt Caroline Streck als einen notwendigen Prozess des Loslassens, der längst nicht nur den Gegenstand, sondern ihre malerische Herangehensweise in einer ganz grundsätzlichen Weise betrifft. Denn im Zuge dessen hat sie sich nicht nur von den Dingen und ihrem Bedürfnis nach malerischer Wirklichkeitsaneignung, sondern auch vom vergleichenden Blick auf das fotografische Vorbild, vom Planen und Messen verabschiedet. Anstelle der Jalousien und Rollos, der Gardinen und Geranien, die etwa ihre früheren Fensterbilder kennzeichneten, beherrschen Streifen, Linien, Muster und Flächen die neue Bildwelt von Caroline Streck.
Inspiration sucht sie allerdings weiterhin erfolgreich vor ihrer Ateliertür. Während der Auslandsaufenthalte zwischen 2014 und 2017 in Istanbul und London hat Caroline Streck mit wachen Augen die Räume der Metropolen durchmessen, hat Architekturen und Oberflächen studiert, nach Perspektiven gesucht und das ungeordnete Nebeneinander im Alltäglichen gefunden. Aus einer intensiven Reibung mit dieser unstrukturierten Wirklichkeit des Großstadtgetriebes gewinnt sie den Formenapparat und den Rhythmus ihrer Bilder: die Vergitterungen und Brechungen, das Harte und Chaotische, das Schrille und das Matte – alles atmet gleichermaßen die Überhitzungen und die Kälte der großen Stadt. Aus ihrem Reizgeflecht konstruiert sie ihre jüngsten Bilder, daraus erwachsen die oftmals bis in den Beschnitt reichenden Strukturen, daraus entsteht eine neue, manchmal aufdringlich laute, manchmal ruppig-trashige aber niemals langweilige Bildwirklichkeit.
Einige ihrer Malereien als Wandarbeiten im öffentlichen Raum zu zeigen, sie zu einem Teil des Stadtbildes, der Architektur werden zu lassen, erwies sich als spannendes Experiment. Ihre Kompositionen können sich im Rahmen einer gegebenen Situation durchsetzen, sie bleiben erkennbar, als das, was sie sind: eigene Stimmen im Stakkato des polyphonen Großstadtlebens. Die Freiheit vom Gegenstand hat Caroline Streck zu einer größeren Unmittelbarkeit, zu einer skizzenhaften Spontaneität im malerischen Tun geführt. Leiten lässt sie sich von den eigenen wechselnden Eindrücken und Stimmungen, die in sehr konkreter Form als Schichtungen von Farbe Eingang in das Bild finden. Die Leinwand wird so zu einer Verdichtungsmaschine
von Zeit, zum Speichermedium des Situativen. Das was eben noch da war, wird überlagert von neuem und bleibt dennoch ein unsichtbarer Bestandteil des Bildes. Hinter der Rohheit der Oberfläche liegen die vielen Schichten des Vergangenen. Hinter einer Handschrift, die von einem schnellen Malakt erzählt, liegt ein manchmal langwieriger Weg zum fertigen Bild. Intensive Spuren der Bildfindung, der hier und da durchscheinenden Farbschichtungen, weisen auf die potentiellen Alternativen des schließlich zum Schlusspunkt gelangten Werkes hin. Malen erweist sich nun als lustvolle Unvernunft, als produktive Maßlosigkeit. Jede neue Farbschicht zerstört das Vorhandene und behauptet sich schließlich vor dem Spektrum seiner möglichen Varianten: Für Caroline Streck eine weitere Übung im Loslassen des eben noch Gültigen im Vertrauen auf ihre Intuition, ihr Augenmaß, ihre pinselführende Hand.
Martina Padberg, 2018
• ENG
Painting unbound
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Every painter seeks to answer the age-old question – What is my focus? – in their own way. Does the realm of earthly things continue to have a role to play in the final painting? Do our immediate experiences and the things we see provide an adequate basis for creation? Is colour an independent form of expression, a material, a source of energy? After spending two years completing a Master’s degree at Chelsea College of Arts in London, Caroline Streck has returned to Germany with a series of paintings that shines a light on the continuation of her evolution as an artist to date. Her tendency toward abstract painting – elements of which were previously recognisable in many of her works – has now bloomed into a fully-fledged artistic focus. Streck describes her path to this point in her development as an essential process of letting go, both with regard to the subject matter itself and in her fundamental approach to the medium. As she has grown as an artist, Streck has left behind her need to replicate reality in her paintings through identifiable images, and is no longer occupied with providing near-photographic reproductions or planning and measuring in meticulous detail. In place of the shutters, roller blinds, curtains and geraniums that populated her earlier paintings of windows, Streck’s eye is now trained on stripes, lines, patterns and spatial planes.
Despite this, Streck continues to look for inspiration on her doorstep. During her time abroad in Istanbul and London between 2014 and 2017, she explored these cities with open eyes, studying architectural forms and surfaces, seeking out different perspectives, and observing chaotic parallels in day-to-day existence. Extensive – and intensive – contact with the unstructured reality found in these world cities enabled her to introduce a repertory of forms and rhythm into her paintings: folds and breaks, rigid and chaotic shapes, shrill and matte forms. They all serve to reflect the various facets of the metropolis as it blows hot and cold. From this, she has created her latest paintings: the structures and forms on the canvas bleed out beyond its edges, resulting in a new, sometimes intrusively loud, sometimes rough and ready reality which, critically, is never dull.
Displaying some of her paintings as murals in a public space – thus making them part of the cityscape and enabling them to become architecture in their own right – has proven to be an exciting experiment. Her compositions are able to establish themselves within the context of a specific situation while retaining their underlying identity: they are clear voices to be heard amid the staccato rattle of big city life. Freedom from objects has led Streck to capture a greater sense of immediacy, to explore a roughly sketched spontaneity in her artworks. She is guided by her own everchanging impressions and moods that manifest themselves specifically as layers of colour, thereby providing a point of entry to the work. In essence, the canvas is transformed into a machine that compacts time, a storage device that records the situation as it unfolds. The new is superimposed over the old, yet the old remains an essential, albeit invisible part of the image, with the many layers of the past undercutting the raw nature of the painting’s surface. Behind a handwritten message pointing to the urgency of the painting process is often a protracted journey to creating the finished picture. Clear traces of the fundamental work that went into the painting and the different layers of paint that show through here and there indicate potential alternatives to how the work actually turned out. The art of painting is redefined as an expression of humorous irrationality and productive excess. Each new coating serves to destroy the existing layer, ultimately transcending the spectrum of its possible variants. For Caroline Streck, these paintings constitute another exercise in letting go of her past preconceptions and trusting wholeheartedly in her intuition, her eye for forms on the canvas, and the hand that holds the paintbrush.
Martina Padberg, 2018